jeudi 8 novembre 2007

Stadtspiegel Wattenscheid 7. November 2007

Mein Kalender zeigt November. Beginn des dritten Monats. Kann das sein? Ich spüre weder den Fluss der französischen Sprache durch meine Kehle strömen, noch hat sich letztere ausnahmslos an die hiesige Esskultur angepasst. In ihr bleiben nicht nur einige Wörter stecken, sondern auch Brocken des lätschigen, langen, weißen Teiggebildes, das wahrscheinlich noch nie ein Vollkorn zu Gesicht bekommen hat. Kurzum: Ich vermisse deutsches Brot! Kernig, knackig, knusprig. (Ich habe das Gefühl, je länger ich in Frankreich bin, desto mehr steigen meine Chancen auf eine erfolgreiche Karriere in der Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Brotindustrie). Der Ort für kerniges Brot ist in Frankreich der Markt. Hier stehen sich noch urige Bauernhofbäcker die Beine in den Bauch, um ihr Vollkornbrot feil zu bieten, das jedoch eher das Attribut: „in Müsli gefallen“ verdient. Diese Variante leistet sich dann auch gleich einen Preis von neun Euro pro Kilo. Also doch wieder Weißbrot… Der französische Markt ist wie ein Zoo. Neben besagtem Entenfutter gibt es auch Lebendviech. Ehemaliger Wohnort: der Atlantik. Heute: Markt auf dem Place de Lafayette, gleich hinter dem Bahnhof von Angers. Lange krebsige Klauen schieben sich über den Ladentisch, scheinen ihren zukünftigen Herrchen zuzuwinken: ein makaberes „Tiere suchen ein Zuhause“. Umringt wird der Riesenkrebs von allerlei Gemuschel und anderem Kleingetier. Denn Meeresfrüchte sind der Franzosen liebstes Obst. Gleich dahinter kommt der Aal, der zur Tötung in Sand gewälzt wird. Ein interessantes Schauspiel.
Wurde dann erfolgreich auf dem Markt eingekauft, folgt das Schmausen. Und der Franzose wäre kein Franzose, würde dies nicht in Form eines ausgedehnten Picknicks im Kreise seiner noch ausgedehnteren Familie erfolgen. Am besten kombiniert mit einem tollen Ausflug ins Grüne. So packte die Familie meiner Mitbewohnerin Léa einst Baguette, Rotwein, Käse, die Oma, Onkels, Tanten und Cousinen in mehrere Autos und fuhr los. Ziel: Das Grüne. Mit einem Viadukt in der Mitte – von dem man Bungeejumpen kann. Was Léa und ein beträchtlicher Teil ihrer Familie dann auch tat. Natürlich nach dem Schmausen. Das Essen ist zum Glück im Bauch geblieben. Wäre sonst auch schade drum.
Ein zweites sportliches Großereignis spielte sich jener Tage in Frankreich ab: Die Rugby-WM. Frenetisch gefeiert (meiner Meinung nach schlichte Verdrängungstherapie, um den Finalverlust der Fußball-WM endlich zu verkraften) und im Halbfinale rausgeflogen (jetzt braucht es eine neue Verdrängungstherapie – die ganze Arbeit umsonst). Die noch von der Fußball-WM mit Videobeamern und Flachbildschirmen ausgestattete Gastronomie hat sich am meisten gefreut: 44 Tage volle Kneipen und volle Menschen (Mit Bier – entgegen der französischen Weinkultur. Aber Rugby ist ja auch eher ein Sport der anglophonen Länder, da kann schon mal Bier getankt werden). Ich habe diesen Sport trotz meiner kulturellen Integrationsbemühungen mit Ignoranz gestraft. Bullige Menschen männlichen Geschlechts jagen und treten sich selbst und einen Rotationsellipsoid (laut Wikipedia die Bezeichnung für den eierigen Ball). Der kann wahlweise in das gegenerische Feld gelegt oder über ein Riesentor gekickt werden. Ich bezweifele, dass die Millionen temporärer französischer Rugbyfans die Spielregeln kennen. Ich kenne sie nicht (aber ich gehöre ja auch nicht zu eben genannter Menge).
Andere Spielregeln sind mir während meines Frankreichaufenthaltes jedoch schmerzhaft klar geworden: die der französischen Bürokratie. Wenn man ihr gegenübertritt, benötigt man zwingend zwei Dinge: Geduld und Passfotos. Ohne Passfotos geht hier nix. Für den Studentenausweis ist es ja noch verständlich. Doch in meinem Portemonnaie befinden sich noch folgende weitere Ausweise mit Passfotos: Busticket, Bahncard, Unisportausweis, Unichorausweis (?!). Um an diese Ausweise heranzukommen, bedarf es neben Passfotos noch einem Termin und ausgedehntem Schlangestehen. Denn ein Termin ist nur die Lizenz, überhaupt bedient zu werden. Ist es dann endlich soweit, wird einem schnell klar, dass man wahrscheinlich noch weitere Termine benötigt. Der Franzose kümmert sich generell nicht vor übernächster Woche um deine Angelegenheit. Um die Wartezeit zu überbrücken, gibt er dir freundlicherweise noch 20 Formulare mit und möchte noch weitere 20 Bescheinigungen von dir haben.
Die Sportart des Schlangestehens wird zudem noch ganz ausführlich und intensiv vor der Uni-Mensa ausgetragen. Will man Mittagessen –und das heißt im wörtlichen Sinne um 12 Uhr Nahrung zu sich nehmen, denn nur dann hat man eine Freistunde- muss man mit mindestens 30 Minuten Wartezeit rechnen. Lange Schlangen, fünfmal um die universitäre Futteranstalt gewickelt, kriechen langsam und laut brummend vor sich hin (das Brummen stammt aus der Magengegend der armen Studenten). Hat man dann endlich sein Essen, hat man etwas anderes nicht mehr: Zeit. Mein Rekord ist 1 Stunde 15 Minuten Wartezeit.
Nach dem Essen geht es für mich zurück in die unheimlich bildende Bildungsanstalt, in der ich leider Englisch studieren muss (wurde mir durch mein deutschen Studiengang auferlegt). Das Englisch-Niveau der im dritten Jahr studierenden Franzosen befindet sich auf der Stufe einer 12. Klasse im deutschen Gymnasium. „Wie strukturiert man ein Essay?“ gehört hier zu den Fragen, die die Denker bewegen. Leider gibt stets der Professor die Antwort, die armen Studenten sprechen nicht. Aus Angst oder Unvermögen – man weiß es nicht. Halten sie ein Referat, wird abgelesen und aus Solidarität für die Mitstudenten diktiert. „Powerpoint-Präsentation“ ist ein Fremdwort, leider auch „Tageslicht-Projektor“ oder „Computer-getippt“. Stattdessen wird fleißig die Sonntagsschrift geübt. Für mich bedeutet das: Faulenzen, schlafen und eine enorm gewachsene Wertschätzung meine heimischen Dortmunder Uni. Aber Austauschstudent sein heißt ja schließlich: Feiern, reisen, feiern. Davon in meiner nächsten Kulturanalyse. A bientôt!

3 commentaires:

mw a dit…

Chère Gesa,

eine brilliante kulturanalyse, zudem noch hochgradig amsüsant and sprachlich elaboriert ;-). die französischen eigenheiten gleichen paradoxerweise in gewissem maße denen auf der insel - das rugby-spielen ist hier volkssport und weit wichtiger als fußball; schlangestehen ist vermutlich hier erfunden worden; vollkornbrot... gibts hier zwar, aber die paar vollen körner dadrin kann man an einer hand abzählen. :-D
viel spaß weiterhin, mit rotationsellipsoiden und armen gesandeten aalen (wie grausam!, aber man erinnere sich an froschschenkel)

Rebecca a dit…

Hey Gesa!
Sehr interessanter Artikel :) Du triffst alles ziemlich genau auf den Punkt!
Ich wollte noch anmerken, dass das Wort "Powerpoint-Präsentation" zwar an meiner Uni in Clermont existiert (ja, bei Präsentationen sogar ein Muss!), aber dass die wenigsten (der Studenten) damit "vernünftig" umgehen können! Also kommts fast aufs gleiche raus wie bei dir ;))
LG Rebecca

steevie a dit…

Huhu!
Jaja, das mit dem Brot das kenn ich wohl. Aber man gewöhnt sich an alles. Steig auf Müsli um zum Frühstück. Das hilft! Und Rugby...oh man, I will never understand this silly game :-) Männer, ein Ball und immer überall kleine Haufen von Männern auf dem Ball. Da ist mir unser Fußball um Einiges lieber!
Gehab dich wohl! Bis bald schon! LG,

Steffi