samedi 3 novembre 2007

Stadtspiegel Wattenscheid 13. Oktober 2007

In Frankreich ist immer alles ein großes "Spectacle"
Gesa Dördelmann berichtet von ihrem Auslandssemester in Angers

Gesa Dördelmann ist wieder für den Stadtspiegel Wattenscheid als "Auslandskorrespondentin" tätig. Vor fünf Jahren berichtete sie als Austauschschülerin aus den USA. Nun schreibt sie über ihre Eindrücke als Austauschstudentin in der französischen Universitätsstadt Angers. Hier ist ihr erster Bericht.

Wir lieben es für seinen alkoholisierten Traubensaft, fettigen Blätterteighörnchen, trockenen Teigstangen und natürlich für seine schönen Sandstrände mit wahlweise wildem Atlantik oder zahmem Mittelmeer – Frankreich. Ein Land, dass uns geographisch so nah ist, von zahlreichen Urlauben gut bekannt. Aber was machen die Franzosen so, wenn sie sich nicht gerade von ihrer touristischen Seite zeigen? Ich habe mich aufgemacht, die (Un-)tiefen der französischen Kultur zu erkunden. Für ein Semester werde ich in Angers studieren, einer 150.000-Einwohner Stadt mit 20% Studenten, nicht weit von der Loire und dank Hochgeschwindigkeits-Zugverbindung auch nur 1 ½ Stunden von Paris.
Dort befinde ich mich jetzt schon seit gefühlten drei Monaten und echten drei Wochen – soviel habe ich erlebt und haben meine Antennen aufgeschnappt. Es folgt eine kleine Kulturanalyse Teil 1 (natürlich rein subjektiv und ohne Anspruch auf Repräsentativität – das muss man als Student ja anfügen).
Als ich an einem schönen Spätsommerabend Anfang September hier ankam, empfing mich gleich ein großes „Spectacle“. Und zwar war ganz Angers durch Feuerinstallationen künstlerisch illuminiert. Dazu gab es noch viele Fressbuden und Theateraufführungen. Auf der sich durch die Stadt schlängelnden Maine (kürzester Fluss Frankreichs, nur 10km lang) haben sich auf wundersame Weise verkleidete Menschen, Fahrräder, Kutschen und Straßenlaternen versammelt, um dramatisch und ohne Worte ein Straßentreiben darzustellen – das besondere daran: Alle schienen auf dem Wasser zu laufen/fahren. Das also ein Beispiel für „Spectacle“. Ein Wort, dass mich immer wieder zum Schmunzeln verführt, da das deutsche „Spektakel“ doch so gut wie niemanden mehr findet, der es gnädig in seinen Mund nimmt und ausspricht. Es sei denn, es ist ein genervter Vater, der seinen quengeligen Kindern zuruft: „Macht doch nicht so ein Spektakel!“. Oder ein Herr, der von der 100-Jahres Feier seiner Dorfgemeinde zurückkommt und sagt: „Das war aber ein riesiges Spektakel!“. Die Franzosen benutzen das Wort immer und überall. Gibt es irgendwo ein „Spectacle“? – Dann nichts wie hin!
Auf jedem „Spectacle“ trifft man natürlich alle seine Freunde und Bekannten. Und die Freunde der Freunde und Bekannten. Das bedeutet Arbeit! Denn die französische Begrüßungsformel für alle, die man über 20 Ecken kennen könnte, lautet: Küsschen! Und das in verschiedener Anzahl: Ist man ganz dick befreundet, gibt es 4 davon auf die Wange. Das stuft sich dann ab bis 1 Küsschen für den Bekannten vom Bekannten vom Bekannten. Trifft man also eine Gruppe, wird sich erstmal über einen längeren Zeitraum abgeknutscht. Aber jetzt fängt das Rechnen an: Wie viele Küsschen für welche Person? Ganz schön kompliziert. Unter Umständen verpasst man dann das ganze „Spectacle“…
Ist der Franzose nicht auf einem „Spectacle“, dann spielt er natürlich – Boule. Um keine Vorurteile zu schüren, sei hier angefügt, dass sich dieses vorzugsweise auf den älteren, in der Kampagne lebenden Franzosen bezieht. In der Gegend rund um Angers, dem Anjou, dominiert eine Spezialform dieser freizeitlichen Betätigungsart: das Boule de Fort. Übersetzt: Boule für die besonders Harten (Kugeln). Das Spiel findet in einem Kegelclub-ähnlichen Gebäude statt, indem es nach durchzechten Nächten riecht. Die Bahn ist anders als beim Kegeln 25m lang, ziemlich breit und halbrund geformt. Die Form ähnelt einem Schiffsbauch – denn früher haben sich domestizierte Seebären auf den Transportschiffen der Loire des Boule de Fort vergnügt. Die Kugeln sind an den Seiten abgeflacht und eiern ein bisschen verloren die Bahn entlang. Das Spiel ist für die besonders Harten, da es eine Konzentrierung jeglicher Geduldszellen des Gehirns verlangt. Die Kugeln bewegen sich nämlich mit einer Geschwindigkeit von zwei Minuten pro Quadratmillimeter. Das heißt man braucht viel Zeit und gute Gesprächsthemen. Oder ganz einfach: Viel Wein. Interessanterweise gibt es 367 Vereine im ganzen Anjou, der nicht gerade durch geografische Größe besticht. Sogar Kindermannschaften erfreuen sich an der traditionellen Sportart (ich frage mich, ob diese jungen Menschen sämtlichen kindlichen Bewegungsdrang bei den „Spectacles“ ausgelassen haben, um diesem langsamen Spiel Motivation entgegenzubringen).
Soviel zu meiner ersten Kulturanalyse. Um noch mal etwas persönlicher zu werden: Ich wohne hier in einer WG mit einer Französin zusammen, wovon ich mir eine Kometenartige Verbesserung meiner doch eher verschwommenen Französischkenntnisse erhoffe (Im Moment erfolgt eine Verbesserung in der Geschwindigkeit der eben beschriebenen Boulekugeln – aber ich bleibe optimistisch.) Den nächsten Artikel schreibe ich auf Französisch! (Das ist zu optimistisch.) Auf jeden Fall werde ich wieder viel zu berichten haben. Über das Leben als Austauschstudentin (ich bin hier eine von 250 verschiedenster Nationalitäten), über französische Bürokratie, die Uni und andere kulturelle Highlights. A bientôt!

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